Kurz nachdem Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie 1919 bestätigt worden war, wurde Einstein zum Medienstar der Weimarer Öffentlichkeit. Die Relativitätstheorie erfuhr eine überwältigende öffentliche Resonanz, die jedoch nicht durchweg positiv war: In den 1920er Jahren erschienen zahlreiche Schriften, deren Verfasser beanspruchten, die Relativitätstheorie widerlegt zu haben. Es waren dabei nicht nur Physiker und Philosophen, sondern auch Ingenieure, Ärzte, Kaufleute oder Schriftsteller, die sich veranlasst sahen, gegen eine der wichtigsten wissenschaftlichen Theorien des 20. Jahrhunderts selbstbewusst Einspruch zu erheben. Aus welchen Motiven heraus und auf welcher Grundlage wurde die Relativitätstheorie von ihnen so heftig angegriffen? Im Forschungsschwerpunkt zur öffentlichen Rezeption der modernen Physik im Rahmen des Forschungsprojekts „The Reorganization of Classical Knowledge on Gravitation“ der Abteilung 1 des MPIWG wurde diese Frage erforscht.
In Hunderten von Druckschriften verwiesen selbsternannte Forscher, die vorher in der akademischen Wissenschaft nicht in Erscheinung getreten waren, darauf, die Relativitätstheorie wissenschaftlich widerlegt zu haben. Da diese angeblichen Widerlegungen oft auf fundamentalen Missverständnissen der physikalischen Relativitätstheorie beruhten, waren sie für die traditionelle Wissenschaftsgeschichte kaum von Interesse. Diese konzentrierte sich vielmehr auf die Kritik von Physikern, die der klassischen Physik verhaftet blieben, und von Philosophen, die zentrale Bestandteile ihrer jeweiligen Denksysteme von der fundamentalen Umgestaltung der Grundlagen der Physik bedroht sahen. Zudem wurde meist getrennt zwischen „wissenschaftlichen“ Argumenten gegen die Relativitätstheorie und „unwissenschaftlichen“, zumeist politischen, Angriffen auf den Juden und Demokraten Einstein.
Eine neue Perspektive entsteht, wenn die populäre Kritik der Relativitätstheorie nicht unter dem Blickwinkel der physikalischen oder philosophischen Plausibilität der Einwände untersucht wird, sondern aus der Perspektive einer breit angelegten Wissensgeschichte, die auch Wissensbestände außerhalb der akademisch etablierten Disziplinen zu ihrem Gegenstand macht. Dann lässt sich nicht nur danach fragen, welche Argumente die Einsteingegner vorbrachten, sondern auch, auf Grundlage welcher Wissensbestände sie argumentierten und in welchen sozialen Kontexten sie verortet waren.
Aus dieser Perspektive lässt sich zeigen, dass die außerakademische Kritik der Relativitätstheorie viel weiter zurück reicht als in die 1920er Jahre. Sie hatte ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert, als im Zuge der Popularisierung der Naturwissenschaften viele Bürger sich in ihrer Freizeit mit Fragen der Wissenschaft befassten; zum Teil entwickelten sie auch eigene Universaltheorien über die Welt und konnten mit ihren einfachen, oft mechanischen Welterklärungen Anhängerschaften aus dem populärwissenschaftlichen Milieu um sich sammeln. So zum Beispiel der bei Siemens-Schuckert beschäftigte Ingenieur Arthur Patschke (1865-1934), der für den Typus des selbsternannten Forschers repräsentativ ist. Der Konstrukteur von Dampfmaschinen war davon überzeugt, dass sämtliche Phänomene, von der Bewegung der Himmelskörper bis hin zum menschlichen Denken, auf die Stosskontakte winziger Ätherteilchen zurückzuführen seien. Er entwickelte auf dieser mechanischen Basis eine wissenschaftliche Weltanschauung, in welcher der Äther als letzter Grund allen Weltgeschehens religiöse Bedeutung erhielt.
Es waren hauptsächlich außerakademische Forscher wie Patschke, die in den zahlreichen Pamphleten beanspruchten, die Relativitätstheorie widerlegt zu haben. Sie waren verwurzelt in weltanschaulichen Kontexten wie dem Monismus, der Lebensreformbewegung oder dem Okkultismus. Diese Weltanschauungen umfassten nicht nur soziale Organisationsformen, sondern auch spezifische Wissensbestände. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum die populäre Kritik der Relativitätstheorie oft von Personen geführt wurde, die zwar kaum Kenntnisse über die physikalische Relativitätstheorie besaßen, aber dennoch vehement gegen sie vorgingen. Anhänger dieser weltanschaulich geprägten Wissensbestände rezipierten die Relativitätstheorie als vermeintlich konkurrierende Theorie im Bereich der Weltdeutungen.
Ein außerakademischer Forscher wie Patschke verfolgte die Ablösung der klassischen, anschaulichen Modelle der Physik durch abstraktere, theoretische Modelle daher nicht unvoreingenommen, sondern aus einer Verteidigungshaltung heraus. Er prüfte, was an der Relativitätstheorie seiner Ansicht nach mit seiner Äthertheorie in Einklang zu bringen war beziehungsweise suchte nach den Stellen, die aus Sicht seiner Äthertheorie die Relativitätstheorie als falsch kennzeichneten.
Die Kontroverse um die Relativitätstheorie wurde außergewöhnlich scharf geführt. In vielen Pamphleten findet sich eine martialische Vernichtungsrhetorik und es wurden öffentlichkeitswirksame Protestaktionen durchgeführt. Dies war der Dynamik eines komplexen Prozesses aus Marginalisierung und Protest geschuldet.
Außerakademische Forscher wie Patschke meldeten Vorträge an, reichten Aufsätze ein und suchten Kontakt zu Einstein und anderen führenden Wissenschaftlern, um sie – als wohlmeinende Kollegen – auf die vermeintliche Falschheit der Relativitätstheorie hinzuweisen und von ihrer eigenen wissenschaftlichen Weltanschauung zu überzeugen. Die Folge waren Nichtbeachtung oder deutliche Erklärungen, warum die jeweilige Kritik an der Relativitätstheorie vorbeizielte. Aufgrund der weltanschaulichen Bedeutung ihrer eigenen Wissensbestände waren diese jedoch gegen solche Kritik immunisiert, und die Einsteingegner waren nicht bereit, ihre eigenen Ansichten zu hinterfragen. Vielmehr wurden alternative Erklärungen für die Nichtanerkennung ihrer Einwände gesucht. Die Einsteingegner entwickelten zunehmend konspirative Deutungen ihrer Randposition und führten diese auf angebliche Verschwörungen zugunsten Einsteins zurück. Damit war jedoch eine Auflösung der Kontroverse unmöglich geworden.
Die historische Analyse der Kontroverse um die Relativitätstheorie zeigt, dass die fundamentale Umgestaltung der Grundlagen der Physik nicht nur die akademische Wissenschaft betraf, sondern auch Wissensbestände, die außerhalb der akademischen Wissenschaft existierten. In einer kürzlich erschienen Publikation, Ergebnis eines Teilprojektes im Forschungsprojekt The Reorganization of Classical Knowledge on Gravitation der Abteilung 1 des MPIWG, wurden diese Wissensbestände ebenso analysiert wie der von den Vertretern dieser Wissensbestände geführte Kampf um Anerkennung in der akademischen Physik.