Nachruf auf den Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul Josef Crutzen (1933–2021)
- Jan 29, 2021
- Institutsnachrichten
- Dept. Renn
- Gregor Lax
Paul Josef Crutzen verstarb am 28.01.2021 im Alter von 87 Jahren. Crutzen prägte die Atmosphären- und Erdsystemforschung nachhaltig durch seine wegweisenden Arbeiten zur Bedeutung anthropogener Einflüsse auf die Atmosphäre und das Klima. Seine akademischen Stationen führten den gebürtigen Niederländer von dem renommierten Meteorologischen Institut der Universität Stockholm (MISU), über die Universitäten in Oxford und Chicago, die an die University of California gekoppelte Scripps-Institution of Oceanography und das National Center for Atmospheric Research (NCAR) in Boulder (Colorado) schließlich als Direktor an das MPI für Chemie in Mainz. Dort leitete er von 1980 an über zwei Jahrzehnte die Abteilung für Atmosphärenchemie und prägte nicht zuletzt das erdsystemische Gesamtprofil der MPG entscheidend mit.
Er betrat das damals noch junge Feld der Atmosphärenchemie Anfang der 1970er Jahre mit Pionierarbeiten zur bis dahin von der internationalen Forschung stark unterschätzten Bedeutung von Spurengasen, die nur in Kleinstmengen in der Atmosphäre vorkommen. Hierzu gehören allen voran die Stickoxide (NOx), die sich fatal auf die stratosphärische Ozonschicht auswirken können. Diese Erkenntnis trug wenig später wesentlich zur Diskussion um die ausschließlich anthropogen entstehenden FCKW-Verbindungen bei, die Frank Sherwood Rowland und Mario Molina, gestützt auf Crutzens Arbeiten, 1974 mit ihren bekannten Studien auslösten. Als sich die Befürchtungen eines globalen stratosphärischen Ozonabbaus durch diese Verbindungen mit der Entdeckung des Ozonlochs 1985 bestätigten, lieferte Crutzen, inzwischen als Direktor am MPI für Chemie, gemeinsam mit dem Physiker Frank Arnold am MPI für Kernphysik in Heidelberg die bis heute gültige Erklärung für die Entstehung dieses erschreckenden Phänomens. Crutzen, Molina und Rowland erhielten für diese Arbeiten 1995 gemeinsam den bis heute einzigen Nobelpreis für Chemie, der explizit für die Erforschung der Atmosphäre vergeben wurde.
Während seiner Zeit als Direktor in Mainz und darüber hinaus war Crutzen in vielerlei Hinsicht ein innovativer Impulsgeber für die internationale Forschungsgemeinschaft. Oft waren es Ansätze und Ideen, die in größeren Kontexten eine eigene starke Dynamik entfalteten. Hierzu gehörte u.a. die gemeinsam mit John Birks entwickelte Computersimulation, die das Initial zur Debatte um den ‚Nuklearen Winter‘ nach einem atomaren Schlagabtausch der ‚Blockmächte‘ bildete, die er einige Jahrzehnte später retrospektiv als die „vielleicht die wichtigste Idee, die ich je hatte“ bezeichnete. Ähnlich wie bei den FCKW waren die Reaktionen erheblich und führten zu zahlreichen Anschlussstudien, die an Institutionen in aller Welt durchgeführt wurden.
Noch in seinem letzten Amtsjahr führte Crutzen das Konzept des Anthropozäns als mögliches neues Erdzeitalter ein, in dem der Mensch zum entscheidenden Faktor des Klimawandels wird. Die Idee erwies sich als tragend und ließ nicht nur in den Natur- sondern auch den Geistes- und Sozialwissenschaften neue Forschungszweige entstehen. Das Anthropozän ist aus heutigen Umweltdebatten nicht mehr wegzudenken. Crutzen selbst sah den anthropogenen Einfluss auf das Erdsystem während der vergangenen 200 Jahre als dermaßen gravierend an, dass er 2006 eine Diskussion über das sogenannte Geo-Engineering anstieß und damit die Frage aufwarf, ob und inwiefern mit wissenschaftlich fundierten Ansätzen das Erdsystem gezielt durch den Menschen zur Schadensmilderung verändert werden könnte. Wiewohl zunächst nur als Testballon gedacht, rief das Thema zunächst erhebliche Proteste und Emotionen hervor. Doch auch hier hat sich inzwischen eine breitflächige wissenschaftliche Debatte entwickelt, die inzwischen auch von hochrangigen politischen Instanzen, etwa auf Bundesministerialebene, mit Interesse verfolgt wird.
Mit Paul Crutzen verliert die MPG eines ihrer besonders charismatischen Wissenschaftlichen Mitglieder und die Erdsystemforschung insgesamt einen ihrer bekanntesten Vordenker und Impulsgeber in den vergangenen 50 Jahren.
von Gregor Lax