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Anton Zeilinger erhält den Nobelpreis für Physik: Erfahren Sie mehr über die MPIWG-Forschung zur Geschichte der Quantenmechanik

Der diesjährige Physik-Nobelpreis (2022) geht an Alain Aspect, John Clauser und Anton Zeilinger, welche auf dem Gebiet der Quantenforschung bahnbrechende Experimente lieferten. Sowohl die Entstehung als auch die Rolle der Quantenmechanik innerhalb der letzten hundert Jahre bilden seit geraumer Zeit einen zentralen Forschungsgegenstand desMax-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte (MPIWG). Dass die Quantenmechanik ein radikal neues Weltbild mit sich bringen würde, zeichnete sich schon während ihrer Entstehung (1925-1927) ab. Wie sehr sie sich jedoch von der klassischen Physik des 19. Jahrhunderts unterschied, wurde erst sukzessive sichtbar – ein Prozess, der in Abteilung 1 des MPIWG innerhalb eines groß angelegten Projektes zur Geschichte und zur Grundlage der Quantenmechanik (Laufzeit 2006–2012) untersucht wurde.

Schon früh zeichnete sich ab, dass der Eingriff der Forschenden (im Sinne experimenteller Messung) in der mikroskopischen Welt der Quantenmechanik eine neue und zentrale Rolle einnahm. Der Einfluss der Messung auf das zu untersuchende Quantenobjekt (bspw. ein Atom oder ein Lichtteilchen) konnte nicht mehr ignoriert werden. Diese Entdeckung der subjektiven Färbung stand einer klassischen Vorstellung diametral gegenüber, in der das wissenschaftliche Experiment als ein objektives beobachten „von außen“ verstanden wurde. 

Den Vorhersagen der Quantenmechanik folgend, stellte Erwin Schrödinger dann um 1930 fest, dass sich der Einfluss derMessung nicht nur auf den unmittelbaren Untersuchungsgegenstand beschränkte, sondern sich vielmehr auch auf weiter entfernte, nicht direkt von der Messung betroffene, Quantenobjekte ausdehnte. Diese überraschende Fernwirkung bezeichnete er mit dem Begriff der „Verschränkung“.

Der Physik-Nobelpreis wurde nun für die wissenschaftliche Entdeckung verliehen, die die Existenz dieser Verschränkung in genau jener Form nachzuweisen vermochte, wie sie von der Quantenmechanik vorhergesagt wurde. Zahlreiche historische Untersuchungen zu dieser Entwicklung finden sich im Oxford Handbook on the History of Quantum Interpretations (2022, herausgegeben von Olival Freire Jr.) ­– viele davon stammen von aktuellen als auch ehemaligen MPIWG-ForscherInnen.

Der Nachweis ist aus zweierlei Gründen relevant: Erstens kommt ihm eine praktische Dimension zu, und zwar, ob in Zukunft solche Verschränkungszustände auch in neuen Quantentechnologien (z. B. Quantencomputern) als Ressource Verwendung finden könnten; und zweitens wirft er ein neues Licht auf die Frage, ob es sich bei der Quantenmechanik überhaupt um eine grundlegende Erkenntnis über die Welt handele. Einstein glaubte beispielsweise nicht daran. Er bezeichnete die Verschränkung als „spukhafte Fernwirkung“ und suchte nach einer „vereinheitlichten Feldtheorie“, die die mikroskopische Welt auch ohne solchen Spuk beschreiben würde. Obwohl sein Versuch missglückte, wurde dieser nichtsdestotrotz Vorbild für die Suche nach der sogenannten „Weltformel“ – ein jahrelanges Unternehmen, das von MPIWG-Forscherin Bernadette Lessel in der Max-Planck-Forschungsgruppe „Historische Epistemologie der Weltformel“ reflektiert wird. Lessel organisierte zudem 2019 in Wien – Anton Zeilingers Heimatstadt – die Konferenz „History for Physics“, bei der sich sowohl HistorikerInnen als auch PhysikerInnen zu den Grundlagenfragen der Quantenmechanik austauschen konnten.

Jüngere Versuche die Weltformel zu finden, beriefen sich zwar auf Einsteins Vision, begriffen die Quantenmechanik jedoch als gegebene und nicht anzuzweifelnde Grundlage (vgl. Blum 2019, Heisenbergs 1958 Weltformel and the Roots of Postempirical Physics; dazu auch Blum/Furlan 2022, How John Wheeler lost his Faith in the Law). Die experimentellen Ergebnisse der Physiknobelpreisträger von 2022 machten eine solche grundlegende Akzeptanz der Quantenmechanik dann quasi alternativlos.