Institut für Zeitgeschichte
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Prof. Dr. Carola Sachse |
(1.4.2000 - 31.1.2004) |
jetzt: Universität Wien |
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Prof. Dr. Doris Kaufmann |
(1.4.1998 - 29.2.2000) |
jetzt: Universität Bremen |
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Das auf fünf Jahre (1999-2004) angelegte Forschungsprogramm der Präsidentenkommission hat zur Aufgabe, den spezifischen Beitrag der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und ihrer Wissenschaftler zum nationalsozialistischen System umfassend zu untersuchen. |
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Der Konzeption des Forschungsprogramms liegen fünf leitende Fragestellungen zugrunde: |
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Das Verhältnis der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und der in ihr tätigen wissenschaftlichen Eliten zum NS-System soll einerseits eingeordnet werden in den langfristigen Prozess der "Verwissenschaftlichung" des Sozialen und Ökonomischen, der sowohl organisatorische und finanzielle Veränderungen im Verhältnis von Wissenschaft, Gesellschaft und Politik als auch epistemologische Veränderungen bei der Generierung und Bearbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen zur Folge hatte. Andererseits ist danach zu fragen, inwieweit dieser Prozess durch die explizit rassistisch und antisemitisch begründete Aggressions- und Expansionspolitik des NS-Regimes spezifische Richtungsimpulse und Beschleunigungen bzw. Verzögerungen erfuhr und in welcher Weise dies die Wissensproduktion in den Kaiser-Wilhelm-Instituten und das verantwortliche forschende, soziale und politische Handeln der dort tätigen Wissenschaftler beeinflußte. Weiterhin ist nach den institutionellen, personellen und innerwissenschaftlichen Kontinuitäten und Veränderungen über das Kriegsende hinaus zu fragen und zu untersuchen, in welcher Weise die Einbindung der Kaiser-Wihelm-Gesellschaft in das NS-Regime innerhalb der Nachfolgeorganisation der Max-Planck-Gesellschaft reflektiert wurde. |
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Von Seiten verschiedener Instanzen im polykratischen Herrschaftssystem des Nationalsozialismus wurde immer wieder versucht, wissenschaftliches Wissen für die verschiedensten Teilbereiche der Politik nutzbar zu machen und politische Ziele bis hin zu verbrecherischen, menschenvernichtenden Aktionen mit wissenschaftlichen Theorien zu untersetzen. Zu fragen ist danach, inwieweit das NS-Regime von Wissensfeldern der Kaiser-Wilhelm-Institute und von Erkenntnissen ihrer Wissenschaftler profitieren konnte und welchen Beitrag die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Stabilisierung der nationalsozialistischen Herrschaft geleistet hat. |
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Stärker auf die aktive Rolle von Wissenschaftlern aus Kaiser-Wilhelm-Instituten abzielend wird weiterhin danach gefragt, welche Rolle sie als Experten bei der Beratung und Ausgestaltung nationalsozialistischer Politik gespielt haben. Zu untersuchen ist, inwieweit ihr Wissen und ihr wissenschaftlich begründetes Votum nicht nur - wie bekannt - in der Bevölkerungs- und Rassenpolitik, sondern auch etwa in der landwirtschaftlichen und Ernährungsforschung oder der Rüstungsforschung gefragt war. Zu prüfen ist, in welchem Maße wissenschaftliche Expertisen die Entwicklung nationalsozialistischer "Lebensraum"-, Kriegsziel- und Rüstungspolitik beeinflußt haben. |
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Noch drängender ist die Frage nach der Interaktion von Wissenschaft und Nationalsozialismus in ihrer Umkehrung: Inwieweit konnten Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft selbst vom NS-System profitieren? Diese Frage stellt sich insbesondere für die möglich gewordene mörderische Entgrenzung der Forschung, die vor allem der Anthropologie, Psychiatrie und Genetik neue Zugriffe auf Menschen - Insassen von Konzentrationslagern, Kriegsgefangene, Anstaltspatientinnen und -patienten, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen - eröffnete. Zu untersuchen ist, ob diese Zugriffsmöglichkeiten auch von Wissenschaftlern an Kaiser-Wilhelm-Instituten genutzt wurden, um international anerkannte, avancierte wissenschaftliche Fragestellungen mit Methoden voranzutreiben, die den Tod der Versuchspersonen billigend in Kauf nahmen oder sogar einplanten. |
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Im internationalen Vergleich geht es weniger darum, eine wissenschaftliche Bilanz zu ziehen, etwa spezifische Erkenntisfortschritte an Kaiser-Wilhelm-Instituten gegen Versäumnisse gegenüber internationalen Entwicklungen abzuwägen oder einen etwaigen "Modernisierungseffekt" des Nationalsozialismus zu bestimmen. Es geht vielmehr darum, das Ausmaß, die Formen und die Folgen der Vereinnahmung von Wissenschaft durch bzw. der Selbsteinbindung von Wissenschaftlern in das NS-Regime zu vergleichen mit den Interaktionsformen von Wissenschaft und Politik in den anderen kriegführenden Ländern. Im Vergleich mit demokratisch verfaßten Staaten einerseits und Diktaturen andererseits können sowohl die Spezifik der Kooperation von Wissenschaft und Politik im Nationalsozialismus präzisiert als auch Denkanstöße für eine zukünftige demokratische (Selbst-)Kontrolle der Produktion wissenschaftlichen Wissens entwickelt werden. |
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Die Arbeiten des Forschungprogramms "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus" konzentrieren sich zur Zeit auf vier Schwerpunktbereiche: |
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1. |
Zusammenarbeit der Generalverwaltung, der Präsidenten und Generalsekretäre mit den verschiedenen Machtinstanzen des polykratischen NS-Herrschaftssystems; Akquisitionspolitik; Einflußnahme von Partei-, Wirtschafts-, Staats- und Militärvertretern über ihre Rollen als Vizepräsidenten, Senatoren, Kuratoren, Beiräte und Mitglieder der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft; Stellung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in der Forschungspolitik des NS-Regimes; Personalpolitik während der NS-Zeit (Entlassung von jüdischen Wissenschaftler/inne/n und Mitarbeiter/inne/n, Beschäftigung von Zwangsarbeiter/inne/n); (Nicht-)Rückberufungen von vertriebenen Wissenschaftler/inne/n durch die Max-Planck-Gesellschaft; Entschädigungen, Erinnerung an die Opfer von Menschenversuchen, Umgang mit Überlebenden. |
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2. |
Kontinuitätslinien in der anthropologischen, rassen- und kriminalbiologischen, erbpathologischen Forschung an den entsprechenden Instituten; Beitrag von Wissenschaftlern an Kaiser-Wilhelm-Instituten zur nationalsozialistischen Rassen-, Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik als Sachverständige bei der Gesetzgebung und Gutachter bei der Durchführung von Zwangssterilisationen, "Euthanasie"-Aktionen und der Genozidpolitik. |
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3. |
Intensivierung der Auftragsforschung insbesondere zur Verbesserung der heimischen Rohstoffnutzung und zur Ersatzstoffproduktion; Beiträge zu Forschung und Entwicklung von konventionellen, biologischen und chemischen Waffen; Position der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und ihrer "Vierjahresplan-Institute" im Machtdreieck von Industrie, Vierjahresplanorganisation und den Instanzen der NS-Forschungspolitik. |
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4. |
Kooperation mit dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter besonderer Berücksichtigung der Rolle Herbert Backes als Staatssekretär bzw. Minister und gleichzeitigem Vizepräsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft; botanische, genetische und landwirtschaftliche Forschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten als Beitrag zur Ernährungs- und Autarkiepolitik des NS-Regimes; politische Bedeutung der neu gegründeten bzw. der übernommenen Auslandsinstitute in Südost- und Osteuropa. |
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Birgit Kolboske, 29. Oktober 2004 |